Johannes von Gmunden – Zwischen Astronomie und Astrologie

Johannes von Gmunden – Zwischen Astronomie und Astrologie

Organisatoren
Universität Bonn; Johannes Kepler Universität Linz
Ort
Gmunden
Land
Austria
Vom - Bis
17.06.2011 - 19.06.2011
Url der Konferenzwebsite
Von
Martin Wagendorfer, Kommission für Schrift- und Buchwesen des Mittelalters, Österreichische Akademie der Wissenschaften

Nach der 2006 mit großem Erfolg stattgefundenen Premiere war Gmunden im Juni 2011 erneut der Schauplatz einer Tagung zu Ehren des neben Regiomontan und Georg von Peuerbach dritten großen Vertreters der sogenannten Wiener astronomisch-mathematischen Schule des 15. Jahrhunderts. Sie wurde in Kooperation der Universität Bonn und der Johannes Kepler Universität Linz mit tatkräftiger Unterstützung der Stadt Gmunden und anderer lokaler Sponsoren im Kammerhof-Museum abgehalten und versammelte eine internationale Gruppe von Wissenschaftlern verschiedenster Disziplinen, die sich diesmal insbesondere mit der schwierigen Frage des Verhältnisses von Astronomie und Astrologie im Mittelalter beschäftigten, jedoch auch andere Aspekte in Biographie und Schaffen des Johannes von Gmunden beleuchteten.

Nach der Einleitung des Organisators Rudolf Simek untersuchte der Vortrag von KATHRIN CHLENCH (Bern) die Frage der Autorschaft für die Johannes von Gmunden zugeschriebenen kosmographischen Schriften. Während sie von der Annahme ausging, dass der ein Diagramm mit Beitext umfassende Elemententraktat Ista figura est posita de spera elementorum... tatsächlich von Johannes von Gmunden stamme, liege der Fall bei der Bildbeschreibung Presens figura representat universum… anders. Das dem Traktat in zwei hochdeutschen Übersetzungen beigefügte Kosmosdiagramm sei im Gegensatz zum Text sicher nicht Johannes zuzuschreiben.

BEATRIZ PORRES DE MATEO (Brüssel) unternahm in ihrem Beitrag den Versuch, Johannes’ mögliche Rollen als Astrologe zu bestimmen, und ging dabei ausführlich auf die Voraussetzungen in Wien und dem nahen Klosterneuburg (Niederösterreich) in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein. Astronomische Tafeln als Teil seiner Tafelwerke, die astrologischen Bücher in seinem Besitz und seine Beziehung zum Hof der Habsburger wurden dafür herangezogen.

Das in die Acta Facultatis Artium der Wiener Universität eingetragene Büchertestat des Johannes von Gmunden sowie dessen Vorgeschichte unterzog MARTIN WAGENDORFER (Wien) einer näheren Untersuchung und ordnete es in den Kontext weiterer Bücherlegate an die Alma Mater Rudolphina in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts ein. Dabei zeigte sich, dass der Umfang der Bückerschenkung keineswegs so außergewöhnlich ist, wie das in der älteren Literatur des öfteren behauptet wurde. Zum Teil können die im Testament genannten Handschriften noch im heutigen Bestand der Österreichischen Nationalbibliothek identifiziert werden und ermöglichen so einen lebendigen Einblick in den individuellen Buchbesitz eines Universitätsangehörigen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts.

Mit einem Teilaspekt desselben Fragekomplexes beschäftigte sich CHARLES BURNETT (London). Er sprach über die im Testament des Johannes genannten astrologischen Bücher, für die der Erblasser sehr genaue und restriktive Bestimmungen zur Benutzung festlegte. Näher erörtert wurden der Inhalt dieser sieben Handschriften und der astrologische Zugang der jeweiligen Autoren. Zusammen bildeten sie laut Burnett eine repräsentative, aber nicht ungewöhnliche Sammlung, die dem Besitzer das Verständnis aller Bereiche der Astrologie ermöglichte, woraus aber nicht zwingend folge, dass sie auch für die astrologische Praxis herangezogen wurden.

Im Vortrag von LENKA PANUŠKOVÁ (Prag) über den Codex Cusanus 207 wurden die Planetenzeichnungen, mit denen der dritte Teil des Liber de signis des Michael Scotus versehen wurde, ikonographisch und kunsthistorisch behandelt. Der Vergleich mit zwei anderen illuminierten Versionen des Traktats erweise, dass diese Handschrift als Lehr- bzw. Handbuch und nicht als repräsentativer Sternenatlas von Wenzel II. in Auftrag gegeben worden sei, wie bisher angenommen wurde.

FRITZ NAGEL (Basel) behandelte in seinem Beitrag den Globuspokal Jacob Stampfers von 1552, ein Objekt aus dem Basler Amerbach-Kabinett, das mit seiner Darstellung von Erde und Himmel auf derselben Sphäre die Epoche des Johannes von Gmunden bereits hinter sich gelassen hat. Einen mit diesem kostbaren Luxusobjekt verbundenen kleinen Doppelquadranten nahm Nagel zum Anlass, um den bisher noch nicht edierten Tractatus de quadrante des Johannes von Gmunden in der Basler Handschrift A N III 20 in Wort und Bild vorzustellen.

In zwei aufeinander abgestimmten Vorträgen widmeten sich ALENA HADRAVA und PETR HADRAVA (beide Prag) einem Himmelsglobus aus dem 13. Jahrhundert, der zur Sammlung astronomischer Handschriften und Instrumente am Prager Hof der Przemysliden gehörte, von Nicolaus Cusanus erworben wurde und sich jetzt in Bernkastel-Kues befindet. Die Ikonographie des Himmelsglobus weise, so die Referentin, erstaunlich große Abhängigkeiten von den Texten des Pseudo-Eratosthenes, des Hyginus und anderen auf. Die Konstruktion des Globus auf elliptischen Koordinaten stimme eher mit der Beschreibung eines Universalglobus im Almagest des Ptolemäus überein als mit den mittelalterlichen arabischen Himmelsgloben. Vorläufige Messungen, die von Petr Hadrava präsentiert wurden, haben ergeben, dass die Sternpositionen mit jenen bei Ptolemäus mit einer mittleren Abweichung von wenigen Zehntelgraden (1 mm auf dem Globus) übereinstimmten, was darauf hinweise, dass der Globus ein exaktes Instrument zur Sternenbeobachtung darstellte. Sowohl Ikonographie und Konstruktion erweisen den Globus als wertvollen Beleg für mittelalterliche Himmelsgloben und ihre direkten Wurzeln in der griechischen Antike.

Das so genannte Calendarium Stamsense aus dem Cod. 750 der Innsbrucker Universitäts- und Landesbibliothek, das TOM MÜLLER (Alfter) einer eingehenden Untersuchung unterzog, enthält eine um die Mitte des 15. Jahrhunderts vom Zisterziensermönch Vitus de Augusta kompilierte Sammlung diverser astronomischer und astrologischer Tabellen, Zeichnungen und (vorrangig in deutscher Sprache verfasster) Traktate. Diese in der Literatur bisher nur wenig beachtete Handschrift bietet einen Einblick in einen wissenschaftshistorisch wie philologisch relevanten Bereich des spätmittelalterlichen Geisteslebens im südlichen deutschsprachigen Raum.

HARALD SCHWAETZER (Alfter) stellte in seinem Beitrag zur Disposition, ob nicht die Alternative zwischen einem Mittelalter, das Astrologie betreibt, und einer Neuzeit, die sich allein der wissenschaftlichen Astronomie verschreibt, zu einfach sei. Er skizzierte eine Linie der Astrologiekritik über Johannes von Gmunden, Nicolaus Cusanus, Giovanni Pico della Mirandola und Johannes Kepler, wo schon versucht werde, auch die Astrologie als Wissenschaft de iudiciis quantitativ zu betreiben und ihr eine wissenschaftstheoretische Grundlage zu geben. Johannes’ Kritik und sein Ringen um eine wissenschaftliche Astronomie de motibus stellt nach Schwaetzer einen exemplarischen Anstoß dieser Entwicklungslinie dar.

Auf in der wissenschaftsgeschichtlichen Forschung im allgemeinen sehr unbekanntes Gebiet führte der Beitrag von ALESSIA BAUER (München). Sie wies in ihrem Vortrag darauf hin, dass die Einheit, die die Disziplinen Astronomie/Astrologie seit der Antike im Abendland bildeten, auf Island grundsätzlich keine Rolle spielte. Nach dem Bruch der gelehrten Tätigkeit im Rahmen der Klöster habe sich ab der Reformation eine volkstümliche Tradition, die sich von der höheren Sternkunde abtrennt, etabliert. Dort kommen die wissenschaftlich fundierten Berechnungen eines Johannes von Gmunden nicht zum Tragen, sodass Island in diesem Bereich erst im 19. Jahrhundert erneut Anschluss an Europa gefunden habe.

Eine Kontextualisierung der vom Aderlass handelnden Texte in den Kalendern des Johannes von Gmunden nahm CORNELIA FAUSTMANN (Wien) vor. Es wurden die Besonderheiten in den Quellen (hierbei vor allem weitgehende Zusammenhänge zwischen den einzelnen Texten) analysiert und auf das (terminologische) Problem Astronomie – Astrologie im Mittelalter in diesem Zusammenhang eingegangen.

In RUDOLF SIMEKs (Bonn) resümierendem Abschlußbeitrag stand der einzige deutsche Text des Johannes im Mittelpunkt, der auf eine Katastrophenankündigung von 1431 in der Tradition der Toledobriefe reagiert und eine dreifache Kritik an den astronomischen, astrologischen und methodologischen Aspekten des Originals enthält, das von Simek erstmals in einer vatikanischen Handschrift nachgewiesen werden konnte.

Die Tagung, deren Akten in gedruckter Form nächstes Jahr vorgelegt werden sollen, lieferte nicht zuletzt durch die sehr unterschiedlichen und sich gegenseitig befruchtenden Fachgebiete der Referenten zahlreiche Anregungen für weitere Auseinandersetzungen mit Johannes von Gmunden. In der abschließenden Diskussion schälten sich vor allem zwei Desiderate heraus, die in absehbarer Zeit dringend behoben werden müssten: zum einen ein Handschriftenzensus sämtlicher Überlieferungen der Werke des Johannes von Gmunden mit genauen Beschreibungen auch der anderen enthaltenen Texte in den entsprechenden Codices und möglichst genauen Angaben zur Datierung; zum anderen, darauf aufbauend, eine kritische Ausgabe der Opera des Gmundeners, die sowohl für die Wissenschafts- als auch für die Bildungs- und Kulturgeschichte enorm wichtig wäre.

Konferenzübersicht:

Rudolf Simek (Bonn): Einführung: Astrologie, Astronomie und Weltbild im 15. Jahrhundert

Kathrin Chlench (Bern): Kosmologisches in Text und Bild von Johannes von Gmunden

Beatriz Porres de Mateo (Brüssel): John of Gmunden as Astrologer. His Books, Teaching, and Clients

Martin Wagendorfer (Wien): Spätmittelalterliche Büchersammlungen und Büchertestate am Beispiel von Johannes von Gmunden

Charles Burnett (London): John of Gmunden’s Astrological Library

Lenka Panušková (Prag): Michael Scots Liber de signis et imaginibus celi im Codex Cusanus 207. Eine ikonographische Fallstudie

Fritz Nagel (Basel): Jakob Stampfer: Wissenschaft und neues Weltbild

Alena und Petr Hadrava (Prag): On the Astronomical Collection of the Przemyslid Royal Court

Tom Müller (Alfter): Astrologisches aus dem Calendarium Stamsense

Harald Schwaetzer (Alfter): Schicksal, Freiheit, Wissenschaft. Kritische Astrologie zwischen Johannes von Gmunden und Johannes Kepler

Alessia Bauer (München): Die laienastrologischen Schriften aus Island und ihr europäisches Pendant

Cornelia Faustmann (Wien): Aderlass im Mittelalter. Texte von Johannes von Gmunden

Rudolf Simek (Bonn): Der Untergang der Welt im Jahre 1432 und ihre Errettung durch Johannes von Gmunden


Redaktion
Veröffentlicht am
Klassifikation
Region(en)
Weitere Informationen
Land Veranstaltung
Sprache(n) der Konferenz
Deutsch
Sprache des Berichts